Evangelische Christuskirche

Die Christuskirche heute eingebettet in viel Betonarchitektur

Die Christuskirche und das Evangelische Gemeindehaus in der Dönhoffstraße

Mit dem Wachstum der Stadt vergrößerte sich auch die evangelische Kirchengemeinde in einem ehemals katholischen Umfeld. Die Kirche und das 1930 errichtete Gemeindehaus in der Dönhoffstraße hatte für das soziale und kulturelle Leben der Menschen in Wiesdorf und Küppersteg eine zentrale Rolle. Zahlreiche Angebote für Gemeindemitglieder und Jugendliche prägten das soziale Leben in der Stadt. Ende der zwanziger Jahren konnte sogar ein dritter Pfarrer eingestellt werden, der vorrangig für die Jugenarbeit und den Religionsunterricht in der neu gegründeten Berufsschule zuständig war.

Wegbeschreibung

Wir gehen die Friedrich-Ebert-Straße bis zur Christuskirche, unserer nächsten Station. Dieser Bauabschnitt der Wiesdorfer Neustadt entstand zum Ende der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik.

Straßenkarte mit Wegeführung (Rot = Ziel)
Schriftzug Eine feste Burg
Gründerzeitliche Innenausstattung vor dem Bombenangriff 1944

Eine wachsende evangelische Gemeinde
in einem ehemals katholischen Umfeld

Mit der Ansiedlung der Bayer AG am Rhein zogen viele Protestanten nach Wiesdorf. Ab 1900 wurde eine von Opladen unabhängige Kirchengemeinde gegründet, die über eine Spendensammelaktion die Errichtung eines Kirchengebäudes und die Etablierung einer eigenständigen Gemeinde vorantrieb. Das alte, vom Ehepaar Carl und Juliane Leverkus gestiftete kleine Kirchlein an der Schießbergstraße war zu klein. 1903 wurde die Trennung von Opladen vollzogen. Verschiedene Einrichtungen wie die Frauenhilfe, der Männergesangsverein, die Jugendhilfe und der Kirchenchor wurden nach und nach aufgebaut. 1903 beschloss man den Bau eines Pfarrhauses, das an der heutigen Dönhoffstraße liegt, die es damals noch nicht gab. Zeitgleich begann man mit Spendensammlungen für den Bau einer einfachen Kirche ohne Empore.

Beauftragt wurde der Architekt Fritsche. Der erste Spatenstich erfolgte im Oktober 1904. Im Laufe der Zeit wuchsen die Gemeinde und die Kirchensteuereinnahmen an und man wurde in der Ausgestaltung des Bauvorhabens mutiger. Emporen wurden nachgeplant und die Farbenfabriken stifteten eine hervorragende Orgel, mit der anschließend zahlreiche Konzerte gestaltet wurden.

 


Audio: Kirche im Wandel

Neue Zeiten- Neue Aufgaben

Im Juli 1906 wurde die Kirche eingeweiht. In dieser Zeit wurden auch die üblichen Positionen einer Kirchengemeinde mit einem Küster, einer Gemeindeschwester für die Krankenpflege und einem Organisten für das Musikalische besetzt. Dies war möglich, da mit dem Zuzug von Menschen nach Wiesdorf gleichfalls neue Kirchengemeindemitglieder kamen. Viele Hochschulen mit chemischen Fakultäten standen in protestantisch geprägten Regionen. 1909 zählte die junge Gemeinde über 5500 Mitglieder, 1912 über 7500 Mitglieder. Ab 1913 konnte ein zweiter Pfarrer eingestellt werden. 1913 erfolgte die Gründung eines Kindergartens.

Mit dem Ersten Weltkrieg kamen die baulichen und organisatorischen Expansionstendenzen zum Erliegen. Männer mussten in den Krieg, dem Kirchenchor fehlten die männlichen Stimmen und die Frauen leisteten Lazarettdienste. Rund 150 Tote im Alter zwischen 16 und 46 Jahren hatte die Gemeinde zu beklagen als 1918 der Krieg zu Ende war und die Weimarer Republik ausgerufen wurde.

Mit dem Frauenwahlrecht bekamen Frauen in den Kirchengemeinden ab 1920 ebenfalls das aktive und passive Wahlrecht für Kirchenämter und Gremien. Chronisten berichten, dass die Wahlbeteiligung in Wiesdorf hoch und die Diskussionen im Vorfeld lebhaft waren. 6 Frauen erhielten einen Sitz in der erweiterten Gemeindeversammlung, die 40 Personen umfasste. Eine weitere Neuerung dieser Zeit: neben den konfessionellen Grundschulen wurden weltliche Schulen eingerichtet.

Ansonsten dominierten in der entbehrungsreichen Zeit nach dem Krieg praktische Aktivitäten. Von der Kirche aus wurden Tippkurse und Handwerkskurse angeboten, die die Arbeitssuche erleichtern sollten. Besonders junge Frauen des Mittelstandes mussten sich Arbeiten suchen, da die finanziellen Möglichkeiten ihrer Familien dahinschmolzen und die Familien es sich nicht mehr leisten konnten, unverheiratete Töchter untätig auf die Ehe warten zu lassen.

Kurz nach Gründung der Republik folgte die Zeit der Geldentwertung, so dass 1923 der Klingelbeutel nicht mehr ausreichte, die vielen Papierscheine aufzunehmen. Die Gehälter der Pfarrer wurden wöchentlich in Opladen ausgezahlt. Wiesdorf schickte einen Boten mit Koffer. Aber zum Ende der Woche war der Wert inflationsbedingt wieder zusammengeschmolzen. Schließlich gab es die alte Rentenmark wieder. Auch wenn die Währungsreform eine gewisse wirtschaftliche Stabilität schaffte, so war die Verarmung in der Bevölkerung deutlich zu spüren. Aus diesem Grunde starteten die Kinder der evangelischen Grundschule eine Spenden-Singaktion zu Gunsten von Kindern, deren Familien in wirtschaftlicher Not lebten.

Ab Mitte der zwanziger Jahre verzeichnete Wiesdorf nach Abzug der Besatzer eine neue wirtschaftliche Blüte. Die I.G. Farbenindustrie wurde gegründet, mit Carl Duisberg als Aufsichtsratsvorsitzendem. Das stärkte auch die Finanzkraft der expandierenden „Evangelischen Kirchengemeinde Wiesdorf“.

Evangelisches Gemeindehaus, eingeweiht 1930
Der Gemeindesaal

Das Evangelische Gemeindehaus

Das Evangelische Gemeindehaus im Stil der neuen Sachlichkeit. Die Gemeindearbeit galt als innovativ und offen, sie sprach die Bevölkerung sehr an.

Ende der zwanziger Jahre konnte nun endlich das bereits vor dem Ersten Weltkrieg geplante Gemeindehaus unter der Leitung des Architekten Wilhelm Fähler realisiert werden. Dafür nahm man einen Kredit bei der Inneren Mission in Berlin auf. Die Gemeinde Wiesdorf unterstützte gleichfalls das Vorhaben mit einem günstigen Darlehen. Man entschied sich, die alten Entwürfe nicht mehr zu verwenden und stattdessen ein Haus im Stile der neuen Sachlichkeit der Bauhausarchitektur zu errichten.

Am 7.9.1930 erfolgte die Grundsteinlegung. Das Gelände umfasste einen Flächenraum von 51,20 m x 13,50 m. Bereits am 6.9.1931 fand die Einweihung des multifunktionalen Gebäudes statt. Damals standen vor dem Gebäude noch alte Pappeln aus dem ehemaligen Pfarrgarten, so dass der Bau gefälliger und weniger wuchtig als heute wirkte.

Die Machtergreifung Adolf Hitlers blieb nicht ohne Folge für die evangelische Kirche. Der Gleichschaltung gingen Konflikte voraus, die mitten durch das Repräsentanten-Gremium der Gemeinde und zwischen den mittlerweile drei Pfarrern verliefen.

 


Audio: Liberale und lebendige Gemeindearbeit

Hintergründe zum Totengedenken
und der Vergnügungskultur in Wiesdorf vor 101 Jahren

Starre und Totengedenken – eine neue Stadt entsteht

Als Bayer 1895 an den Rhein kam, setzte im Fischer- und Bauerndorf Wiesdorf ein gigantischer Aufschwung ein. Vor dem ersten Weltkrieg zählte Wiesdorf fast 15000 Einwohner, 1913 verlegte Bayer die Konzernzentrale an den Rhein, 1921 wurde Wiesdorf mit 21 000 Einwohnern eine Stadt und 1930 entstand Leverkusen durch den Zusammenschluss mit Schlebusch und anderen Dörfern. Wiesdorf war damals auch so etwas wie der kulturelle und gesellige Mittelpunkt der Menschen. Dennoch lebten die Menschen nach dem verlorenen ersten Weltkrieg wie in einer Schockstarre. Britische Besatzer regelten das Leben der Bevölkerung mit Kontakt und Ausgangssperren. In den Familien und Vereinen wurde der Tod von Söhnen und Vereinskameraden betrauert. Im öffentlichen Raum von Wiesdorf stellte man Gedenksteine und Denkmäler zur Erinnerung der Gefallenen auf. Der Tod der Männer und Söhne riss vielfach eine Lücke in das soziale Gefüge von Bürgern und Familien.

Eine statistische Auswertung der Gefallenen zeigt, dass es sich vornehmlich um sehr junge Männer mit unbekannter Grabstätte (z. B. Soldatenfriedhöfe an den Schlachtfeldern (Belgien, Frankreich , Ostfront) handelt. Die Gefallenen waren bis auf wenige Ausnahmen Zugezogene aus dem gesamten Deutschen Reich. Von den Arbeitsplätzen (Bayer AG, Wuppermann, Eumuco u.a. ) angezogen, kamen sie in den bis Dato fast ausnahmslos katholischen Orte Wiesdorf/Manfort. Viele sind aus der Gegend des heutigen Wuppertals mit dem Aufbau des Bayerwerkes ab 1892 gekommen. Das erklärt, dass über 55 % der Gefallenen auf dem Gedenkstein Angehörige der Farbenfabriken waren.

Das Stadtarchiv Leverkusen verzeichnet in seiner „Kriegstotenkartei“ noch weit über 100 gefallene Evangelische aus Wiesdorf, die nicht auf Gedenksteinen verzeichnet sind. Hierbei dürfte es sich in erster Linie um alleinstehende Gefallene gehandelt haben, die keine Angehörige in der Gemeinde hatten und vermutlich aus beruflichen Gründen als Junggesellen nach Wiesdorf kamen. Die Bevölkerungsstatistik der Stadt weist gerade zwischen 1900 und 1914 einen jährlichen Bevölkerungszuwachs von bis zu 500% aus. Dieser Trend wurde insbesondere von jungen männlichen oft qualifizierten Zugezogenen getragen.

Als sie in den Krieg zogen, waren sie noch nicht verheiratet. Hinterlassen wurden Familien, die an anderen Orten trauerten, Junge Freundinnen und Verlobte, Arbeitskollegen und Vereinskameraden, insbesondere im Sport. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die verschiedenen Gedenksteine auf dem Stadtgebiet auch von Arbeitgebern, Sportvereinen und der Gemeinde selbst stammen.

Das in den 60er Jahren von Marlene Dietrich gesungene Lied „Sag mir wo die Blumen stehen“ geht auf ein Volkslied aus dem Donbass von 1918 zurück. Es beklagt tote Soldaten, allein gelassene Mädchen und Blumen, die über Gräber wehen. Anrührend wird in dem Lied der Bogen von Kriegsgräbern zum Leben der zurückgebliebenen Frauen geschlagen.

Sag mir wo die Blumen sind
wo sind sie geblieben
Mädchen pflückten sie geschwind

Sag mir wo die Mädchen sind
Männer nahmen sie geschwind
wo sind sie geblieben

Sag mir wo die Männer sind
zogen fort der Krieg beginnt
Wann wird man je verstehen?

Sag wo die Soldaten sind
wo sind sie geblieben?

über Gräben weht der Wind
Wann wird man je verstehen?

Sag mir wo die Gräber sind
Blumen wehen im Sommerwind

Wann wird man je verstehen?

(Verkürzter Text)

   

Gedenktafel: im ehemaligen Eingangsbereich der Christuskirche, im ehemaligen Rathaus und der Bayer AG im Hindenburgpark

Aufbruch und Vergnügen

Nach dem Krieg war alles anders. Frauen bekamen das aktive und passive Wahlrecht, Nach der Kampagne zur Freimachung von Arbeitsplätzen für ehemalige Soldaten kehrten sie bis 1923 wieder an die Arbeitsplätze in Fabriken, Büros und Verkaufsgeschäfte zurück. Dennoch in den Familien hatte sich etwas verändert. Kriegstraumatisierte Männer waren oft demoralisiert und hatten Alkoholprobleme. Der Jugend gaben sie kein Vorbild. In jungen Menschen keimte das Bedürfnis die Trauer abzulegen, aus der Starre herauszutreten und endlich einmal wieder im Hier und Jetzt ungezwungen zu feiern. Gedenksteine für Tote waren in diesem Sinne auch Abschieds- und Schlusssteine der Trauer. In Wiesdorf gab es viele Gedenksteine aus dieser Zeit. Gemeinsam ist ihnen, dass man sie mit dem Aufbruch in eine neue Zeit oft nicht mehr sehen wollte. Und so zogen diese Denkmäler und Steine im Laufe der letzten 100 Jahre oft um.

Eine Szene aus dem „Kunstseidenen Mädchen in Wiesdorf“ vor der Kirche ohne Gedenkstein – Aufbruch in die Vergnügungskultur

Der Wandel im städtischen Leben setzte ab 1923 allmählich und nach dem Abzug der britischen Besatzer explosiv ein. Die Wiesdorfer City mauserte sich zum Ausgehzentrum.

Der Grund ist recht einfach. Es gab eine gute verkehrstechnische Infrastruktur mit 2 Bahnlinien die bis Mitternacht fuhren, eine „Straßenbahnlinie O“ die bis um 1 Uhr nachts fuhr und erste Busse der Wupsi, die Menschen auch in abgelegenere Orte brachten. Es verwundert nicht, dass die Kinos und Tanzlokale sich stets in der Nähe dieser Verkehrsknotenpunkte befanden.

Durch die Wiesdorfer Neustadt fuhr die Linie O. Am Rande der City gab es die Bahnhöfe Küppersteg und Wiesdorf. Filme, Tanz- oder Kulturveranstaltung waren bis 1925 Bayerangehörigen vorbehalten. Dann wurden sie für alle Bürger geöffnet. Auch vom Manforter Hof, dem Haus am Park und dem Lindenhof, vor 100 Jahren beliebte Feier- und Tanzlokalitäten der Vereine, konnte man bequem in die Bahn am Schlebuscher Bahnhof einsteigen. Die gute Verkehrsanbindung war Voraussetzung für die Massenkultur des Vergnügens.

Vor 100 Jahren: Kinos in Wiesdorf
Zusammengestellt vom Stadtarchiv
Leverkusen

In Wiesdorf gab es vor 100 Jahren 9 Kinos. Bei guter Erreichbarkeit ließen sich Kinobesuch mit einem Schaufensterbummel, einem Restaurantbesuch oder einer Tanzveranstaltung verbinden. Einige der Kinos wie z. B. im Erholungshaus, im evangelischen und katholischen Gemeindesaal wurden gleichfalls alternativ als Vortrags oder Feierlokalitäten genutzt. Andere Kinos dienten zuweilen auch als Versammlungssaal oder Probenräume für Musikvereine. Da Kinos in der Regel mit Restaurants und Cafés verbunden waren, schafften die Freizeiteinrichtungen auch viele Arbeitsplätze. Geht man davon aus, dass ein Kino mit angeschlossenem Lokal ca. 15 Arbeitskräfte benötigte, so fanden ca. 120 Wiesdorfer hier ihr Auskommen. Heute gibt es in Wiesdorf nur noch ein Kino, in dem vor allem Aushilfskräfte arbeiten.

Ein heute nicht mehr denkbares Kuriosum war ein Lokal und Kino am Garagenhof der Beamtensiedlung unweit des Wiesdorfer Bahnhofs. Hier fuhr man zum Vergnügen auch mit dem Auto vor, ließ es während des Films warten und startete dann eine flotte Spritztour ins Bergische manchmal mit überhöhter Geschwindigkeit…

Marlene Dietrich in „Der Blaue Engel“

Neue Musik und Tanzrichtungen

Weimarer Freizeitkultur, dargestellt von Otto Dix

Der Rausch der Geschwindigkeit und Selbsterprobung

Nach den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren kamen schnelle Rauschgefühle in Mode. Kostengünstig waren Absinth und Wermuth. Aber auch harte Drogen, wie z. B. das von Bayer um 1900 als Hustensaft auf den Markt gebrachte Heroin, wurden konsumiert. Hier sei am Rande erwähnt: In der Erprobungsphase vor der Markteinführung verabreichte man das Medikament an Bayer Arbeiter zur Massenerprobung. Sie berichteten von „heroischen Gefühlen,“ die sie zu Höchstleistungen anspornten. So entstand der Name Heroin.

Die „heroische Selbsterprobung“ im Sport und in der Geschwindigkeit waren ein weiteres Merkmal der Weimarer Freizeitwelt. Schnell sein, Grenzen überschreiten war sportlich und modern: beim Laufen, Radfahren und Schwimmen. Der Abenteuer- und Geschwindigkeitsrausch konnten im Luftsport oder beim Motorradund Autorennen erhöht werden. Auf vielen Freizeitbildern der Zeit gibt es schnelle Autos. Besonders aktuell war das Bild von Rennfahrerinnen.

Der synthetische Kautschuk für Auto- und Radreifen oder Laufschuhe mit Gummisohlen wurde gleichfalls ab Mitte der zwanziger Jahre von Bayer produziert. Zur Ausübung der „schnellen und gefährlichen Sportarten“ konsumierte man zuweilen auch Drogen und Aufputschmittel. Auf jedem Fall wurden sportliche Siege gerne ausgelassen gefeiert und betanzt. Beliebte Orte in Wiesdorf waren der Gasthof Schweigert am Standort des heutigen Gesundheitshauses, das Erholungshaus, das Haus am Park, der Lindenhof und der Mitte der 20er Jahre angelegte Lunapark, heute Stadtpark.

Auch das Feiern und Tanzen im Privaten kam in Mode. Schellackplatten und Grammophone lieferten zu mancher Party die Begleitmusik, die die Tänzer bald mitsingen konnten. Bis heute können viele Menschen zwischen 60 und 70 die Lieder der Comedian Harmonists. Sie haben sie gemeinsam mit Eltern und Großeltern gesungen.

   

Autofahrerin 1929 In der Zeitschrift „Die Dame“, Plattencover und Grammophon aufgenommen im Kolonien Museum

Die bunte Zeit der Kunstseide wirkt bis in die Gemeindewelt

Ab Mitte der zwanziger Jahre war die Freizeitwelt, egal ob in Wiesdorf oder Berlin schillernd und bunt. Die Phase des Trauerns war vorbei. Das bedeckte Schwarz und Grau wurde weggepackt und die Kleidung schimmerte farbenfroh.

Auch hier half ein neuer Grundstoff von Bayer für die synthetische Faser „Kunstseide“ weiter. Ab 1925 wurde Kunstseide in großen Mengen in Dormagen produziert.

Die kunstseidene Bluse des Bürofräuleins wurde schnell zum geflügelten Wort. „Kunstseidene Mädchen“, d. h. Tipperinnen aus dem Schreibsaal in bunter glänzender Kleidung galten als billige Kopie der Damenmode aus Seide. Allerdings passte dieses neue preisgünstige Massenprodukt optimal zum bunten Ausgehlook von Angestellten mit Glitzerperlen, Fransen und glänzende Stoffe in den Golden Twenties.

Bayer verdiente gut an der Ausgeh- und Freizeitkultur der Zeit: Neue Stoffe, neue Farben und Materialien, Kosmetika Tonträger und vieles mehr für das Massenvergnügen. Offensiver als andere Chemieunternehmen erspürte die Anwendungstechnik aus Leverkusen neue Märkte und den Geist der Zeit.

Mitarbeiter:Innen der Firma konnten dank ihres guten Lohns in der Leverkusener Freizeitwelt schon einmal eine „Sause“ feiern, ordentlich über den Durst trinken und zur Bekämpfung des schweren Kopfes am nächsten Tag ein Bayer Aspirin einnehmen. Mit der Linie O fuhren Menschen aus dem Umland von Opladen oder Köln gerne zum Vergnügen in die junge Stadt nach Wiesdorf. Hier war etwas los, denn Bayer und die Belegschaft verdienten gut mit der breiten Palette von Live Syle Produkten made in Leverkusen.

Auch in den Kirchen sprudelten die Einnahmen nach den Jahren der Depression wieder. Vergnügungsverbote wurden gelockert. Die Jugendarbeit rückte in den Focus. Man verschloss sich nicht mehr dem Vergnügen, sondern begann mit neu eingestellten Gemeindepädagen (Mann und Frau) sowie einem Pfarrer (ab 1927 unterrichtete er Religion und Sozialkunde an den neuen staatlichen Berufsschulen) im neuen Gemeindehaus 1930 die Freizeit der Jugend in neue Bahnen zu lenken.

Das breite Angebot mit Filmen, Geselligkeit und Tanz neben Gesprächskreisen hatten Vorbildcharakter im Rheinland.

 

Lotte Larstein: Sekretärin im kunstseidenen Blüschen beim Telefonat