Einleitung: Skulpturenkunst in Leverkusen

Stadtentwicklung im Kontext der Skulpturenerrichtung von 1950 bis jetzt

Im Rahmen von „Stadtspaziergängen“ haben wir die Gäste gefragt, welche Tour sie sich für die Zukunft wünschen. An erster Stelle stand eine Skulpturentour, um moderne Kunstwerke im öffentlichen Raum im Kontext der Stadtentwicklung zu verstehen.

Ich ging auf Spurensuche und stellte fest: Bei den Nachkriegsskulpturen in der Stadt gibt es wahre Schätze von international bekannten Künstlern, z. B. Hans Uhlmann (Siedlung Alkenrath), Francesco Marino di Teana (Bismarckstraße vor der Berufsschule), Norbert Kricke (Zentrum für ältere Bürger Doktorsburg), Alf Lechner (vor der Musikschule) und viele mehr. Werke dieser Weltkünstler finden sich in anderen Städten an Orten der gesellschaftlichen Repräsentanz also vor Rathäusern, Universitäten oder in Museen. Nicht so in Leverkusen: Hier stehen die Kunstwerke sehr bürgernah in Wohnsiedlungen, wie z. B. Alkenrath, vor berufsbildenden Schulen oder in Parks die alle Ende der 50er Jahre für Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus errichtet wurden. Das ist ein beachtliches Alleinstellungsmerkmal unserer Stadt

Da der Steuersäckel dank des Chemiewerks in den 1950er- und 60er-Jahren gut gefüllt war, versuchte die junge Stadt Leverkusen, sich durch zeitgemäße Architektur und moderne Skulpturen vor den neuen Gebäuden und im öffentlichen Raum modern, wertig und weltoffen zu präsentieren. In der Grünanlage des neuen Stadtteils Alkenrath wurde in Deutschland von Hans Uhlmann die erste Skulptur zum Gedenken der Verfolgten des Nationalsozialismus errichtet. Vor der Doktorsburg stellte man aus der 2. Documenta in Kassel das Werk von Kricke auf. Vor dem wieder abgerissenen grüngrau gestreiften Rathaus präsentierte sich die moderne Kunst in Form eines „Aquamobils“ (im Volksmund „Klapperbrunnen“ oder „Beamtenweckanlage“) als Symbol des technischen industriellen Aufstiegs der Stadt.

Klinikum Henri Nouveau
Musikschule Alf Lechner 1992
Berufsschule Bismarckstraße Francesco Marino di Tena 1963

Die Kunstwerke wurden oft in Materialien gestaltet, die man auch für den Anlagenbau in den Industrieunternehmen verwendete. Die Botschaft für diese moderne „nonfigurative Kunst“, deren Merkmal die abstrakte Formensprache durch Flächen, Linien, Farben und Materialien ist, sollte für die Zuwandererstadt Leverkusen mehrere Botschaften transportieren: Neuanfang in der Städteplanung und Stadtentwicklung, Abwendung von der monumentalen figurenbetonten Bau- und Kunstrichtung des Nationalsozialismus, sozialer Ausgleich durch soziale Marktwirtschaft mittels einer erfolgreichen Industrie, Förderung von Leistung und Aufstieg durch Bildung auch für diejenigen, die aus weniger privilegierten Familien oder anderen Regionen als Flüchtlinge kamen, soziale Wohlfahrt und Gesundheit für alle Bürger, Weltoffenheit und soziale Integration aller Bürger durch Sport und Kulturförderung in Musik und Kunst.+
Diese Schwerpunkte gingen mit Aktivitäten aus der Bevölkerung einher. Vereine mit regionalen Künstlern führten über die Stadt hinaus beachtete Aktionen durch. Und Leverkusen hat zahlreiche überregional aktive metallverarbeitende Kunstschaffende hervorgebracht.

Im Rahmen dieser Skulpturentour vom Rhein zum Schloss geben wir daher diesen Künstlern mit Videoporträts einen besonderen Raum. Friedrich Engstenberg („*1933“) arbeitet mit Metallelementen, die z. B. in industriellen Bauten verwendet werden. Die Kunstgruppe BOBO, in der der gelernte Stuckateur und Künstler Engstenberg aktiv war, prägte die Aktionskunst der 1960er- und 70er-Jahre. Aktionen und Beteiligung von Bürgern anstelle der Arbeit im zurückgezogenen Atelier war die Ausrichtung dieser Zeit. Eberhard Foest („*1935“), Architekt und Künstler, erschafft Skulpturen, z. B. die 10 Meter hohe Figur an der Wacht am Rhein, aber gestaltet auch begrünte Verkehrskreisel. Die Komposition von Kunst und Architektur ist eines seiner Themen. Odo Rumpf („*1961“), Ingenieur und Metallkünstler aus Fundstücken, ist der jüngste und neue Stilrichtungen entwickelnde Künstler. Er reflektiert Umweltthemen wie Upcycling und Ökologie. Insbesondere seine großen Dinos auf einem Hügel im Neulandpark oder einem Schotterhaufen auf einer Verkehrsinsel vor dem Kinopolis begeistern Jung und Alt. Sämtliche Kunstwerke regen die Fantasie der betrachtenden Bevölkerung an. So bekommen namenlose Skulpturen Spitznamen aus der Bevölkerung wie der „Rheinwächter“ am Kanuclub oder die „Jugendlichen“ vor der Villa Wuppermann. Alle drei Künstler sind heute über die Stadt Leverkusen hinaus bekannt. Ihre Skulpturen werden von der Bevölkerung geschätzt, sie gehören zum Stadtbild und zu den Lieblingsorten der Bürger.

Friedrich Engstenberg
Eberhard Foest
Odo Rumpf

In den wirtschaftlich schwierigen 2000er-Jahren gerieten in Leverkusen die Kunstskulpturen teils in Vergessenheit. Nach drei zeitgleichen Firmeninsolvenzen (AGFA, DyStar und Wuppermann) und der Aufspaltung des Bayer-Konzerns in die Firmen Bayer, Lanxess und Covestro fehlten der Stadt schlichtweg die zuvor gewohnt üppigen Firmensteuereinnahmen. Die Verwaltung musste sparen, das galt auch für die Administration ihrer in besseren Zeiten erworbenen Kunstschätze. Viele Unterlagen und Dokumentationen gingen in dieser Zeit verloren. Daher ist die neu entwickelte Skulpturentour auch als Zeitreise der Stadtentwicklung gestaltet.

Bei der Ausarbeitung und in den vielen Gesprächen kam immer wieder die Frage auf: Was ist eigentlich mit den Kunstwerken in den Depots der Stadt (z. B. das Aquamobil) oder den Kunstwerken, die durch Stadtentwicklungsmaßnahmen (wie die Skulptur vor der alten Post am Bahnhof) keinen angemessenen Platz mehr haben. Wäre hier auch Wiederentdeckung der vergessenen Schätze angesagt? Sinnvoll wäre meines Erachtens die würdige Einbindung der vergessenen Werke in ein neues Kunstkonzept, z. B. in Form eines Kunst- und Skulpturenweges. Da bis heute Kunst in Leverkusen an Schulen und in Vereinen nach wie vor sehr lebendig gelebt wird, böte sich an, Aktivitäten aus der Bevölkerung mit in die Planung einzubeziehen.

Zur Realisierung der Skulpturentour hat der Verein Leverkusen Kult Tour e.V. den Förderantrag bei der Kulturstadt Leverkusen eingereicht. Wir bedanken uns für die Unterstützung durch eine Zuwendung. Ebenso danken wir den drei Künstlern Engstenberg, Foest und Rumpf für die vielen Informationen zu Hintergründen der Skulpturen und Stadtentwicklung. Die Vereine Leverkusener Künstler und Künstlerbunker haben uns ebenfalls mit Informationen, Unterlagen und Kontakten unterstützt. Zahlreiche Hinweise und Unterstützungen von den Grafikern Johannes Seibt, Christian Schnieders, der Filmemacherin Linda Schefferski und der Lektorin Sabine Zitzmann-Starz und meiner Mitstreiterin Anita Herget haben dazu beigetragen, dass die Ausarbeitung Form annahm. Jo Seibt und Christian Schnidders haben die Ausarbeitungen und Materialien in eine ansprechende grafische Form gebracht. Mein Dank geht auch recht herzlich an die Leverkusener Bürger und Bürgerinnen, die zahlreiche Hinweise und Ideen zur Realisierung gaben.

Den Bürgern und Gästen unserer Stadt wünsche ich viel Spaß auf der Skulpturentour.

Dr. Ellen Lorentz
März 2024